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Bericht über die Bildungs- und Freizeitwoche in Nals vom 25. bis 31.8.2019

 


Das Thema der heurigen Bildungswoche in Nals „Wer lebt, hinterlässt Spuren“ hat mich sofort angesprochen und mein Interesse auf diese Woche geweckt. Es handelt sich um ein Thema, das mich aufgrund meiner persönlichen Erfahrung mit dem Leben und dem Tod berührt und auch aufgrund meiner Erfahrungen, die ich in meiner Arbeit als Seelsorgerin in einer Rehaklinik mache. Ich darf Menschen seelsorglich begleiten, die nach schweren Unfällen mit dem Tod und Leben in dem Sinn konfrontiert sind, dass sie nunmehr unter ganz geänderten Bedingungen lernen müssen im Leben zurecht zu kommen, wenn sie etwa aufgrund einer Querschnittlähmung im Rollstuhl sitzen oder nach einer Amputation mit nur einer Hand oder nur einem Bein leben lernen. Sie alle beschäftigen sich in den Seelsorgsgesprächen mit den Spuren, die sie im Leben vorher hinterlassen haben, die sie geprägt haben und vielfach tauchen auch Themen auf, welche Spuren sie einmal hinterlassen werden. Gerade Menschen, die mit dem Tod konfrontiert sind, beschäftigt diese Frage; hier geht es um die vielen kleinen Tode vor dem eigentlichen Tod. Da ich selbst im Alter von 20 Jahren infolge eines Herzkreislaufstillstandes mitten aus dem Leben gerissen wurde und nach fünf Wochen Koma gelernt habe, mit meiner Mehrfachbehinderung zu leben, weiß ich sehr wohl, wovon ich hier schreibe, kenne ich die Frage nach den Spuren, die man im Leben hinterlässt, sehr gut. Die Geschichte „Spuren im Sand“ hat mir damals in dieser schweren Zeit sehr viel Kraft gegeben, weshalb ich sie am Montag Abend beim Abendlob, welches ich zusammen mit meiner Freundin Herta und mit meinem Partner Harald gestalten durfte, in Liedform eingebaut habe. Die Geschichte passte deswegen thematisch so hervorragend, da sie von den Fußspuren im Sand handelt. Für all jene unter Ihnen, denen der sehr bekannte Text mit anonymen Autor unbekannt ist, möchte ich ihn hier in ein paar Sätzen wiedergeben. Es wird von einem Traum geschildert, in welchem der Erzähler am Meer entlang geht und Spuren im Sand hinterlässt. Neben seinen eigenen sind auch die Spuren des Herrn zu sehen. Irgendwann dreht sich der Erzähler um, blickt zurück und muss enttäuscht feststellen, dass in den schwersten Zeiten des Lebens nur eine Fußspur zu sehen ist. Daraufhin stellt der Erzähler dem Herrn so wie Hiob in der Bibel enttäuscht die Frage, weshalb er ihn gerade in den schwersten Zeiten alleine gelassen habe. Und hier gibt der Herr die tröstende Antwort, dass er uns nie alleine lassen würde, im Gegenteil, da, wo nur eine Spur im Sand zu sehen ist, da habe er uns getragen. So weit die Geschichte, die mir in meiner schwersten Zeit, als ich nach dem Koma aufwachte und feststellen musste, dass ich blind bin, nicht sprechen konnte und gelähmt war, geholfen hat, über die Warumfrage hinweg zu kommen zum Wozu, die mir Kraft gab, alles durchzustehen und zusammen mit meiner Familie, meinem Partner und meinen Freunden den Weg in ein weitgehend normales Leben zurück zu finden. Als Theologin war es mir ein Bedürfnis, diesen Blickwinkel auf das Wochenthema einzubringen. Es war aber nur einer von sehr vielen Blickwinkeln, mit denen wir während der Woche das Thema beleuchteten.

Die Vorträge von Margot Worbis und Veronika Joas, welche an den ersten drei Vormittagen stattfanden, boten jeder auf seine Weise interessante Aspekte zum Wochenthema und intensive Auseinandersetzung mit dem Thema Spuren. Es würde den Rahmen sprengen, wenn ich hier ins Detail gehen würde, so möchte ich jeweils nur Aspekte herausgreifen, die mich persönlich sehr berührten.

Von Niko, dem Leiter des Blindenapostolat Südtirol, wurde in der Feedback-Runde mehr Interaktion bei den Vorträgen gewünscht. Ich von meiner Seite her kann nur betonen, dass ich finde, dass es sowohl Margot Worbis, die uns an zwei Vormittagen mit ihren Beiträgen bereicherte, als auch Veronika Joas sehr gelungen ist, das Thema lebendig und sehr kurzweilig zu gestalten und man merkte Professionalität. In Kleingruppenarbeiten haben wir uns neben theoretischen Blöcken selber sehr intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt und dabei viel von unseren Gesprächspartnern lernen dürfen. Unter anderem setzten wir uns z.B. mit dem Text „Als ich mich selbst zu lieben begann“, den Charlie Chaplin anlässlich seines 70. Geburtstages verfasst haben soll, auseinander. Neben vielen Abschnitten berührte mich der folgende

„Als ich mich selbst zu lieben begann,
habe ich mich geweigert, weiter in der Vergangenheit zu leben
und mich um meine Zukunft zu sorgen.
Jetzt lebe ich nur noch in diesem Augenblick, wo ALLES stattfindet,
so lebe ich heute jeden Tag, Tag für Tag, und nenne es BEWUSSTHEIT.“


ganz besonders, denn ich ertappe mich immer wieder, dass ich meiner Vergangenheit, wo ich eine gesunde, junge Frau war, die als Gitarristin und Sängerin in mehreren Bands spielte und sang, die leidenschaftlich gern Tischtennis im Verein spielte und gerne mit dem Auto fuhr, nachweine oder jetzt mit meinem Partner Harald die Zukunft planen möchte und mir eine Zukunft als junge Familie mit Baby ersehne. Und dabei sollte mir als Theologin doch Jesu Wort „sorgt euch also nicht um morgen; denn der morgige Tag wird für sich selbst sorgen“ (vgl. Mt 6,34) verinnerlicht sein und ebenso das Wort des Mystikers Meister Eckhard, dass der wichtigste Mensch der ist, der dir gerade gegenüber steht und die wichtigste Zeit die Gegenwart.
Viele der Verse aus dem Gedicht von Charlie Chaplin gaben Anlass, in der Kleingruppe diskutiert zu werden. Der folgende

„Als ich mich zu lieben begann,
da erkannte ich, dass mich mein Denken behindern und krank machen kann. Als ich mich
jedoch mit meinem Herzen verband, bekam der Verstand einen wertvollen Verbündeten.
Diese Verbindung nenne ich heute HERZENSWEISHEIT.“


führte bereits zu dem Gesichtspunkt, unter welchem wir am folgenden Tag mit Veronika an das Thema herangingen, die psychologische Seite, die Spurensuche nach mir selbst. Besonders eindrucksvoll fand ich die Übung, zu welcher uns Veronika einlud, wo wir erkannten, wie wir im Leben auf unserer Reise zu unserem Werteberg unterwegs sind und welche Kräfte aber in uns wirken, die uns immer wieder daran hindern wollen und uns im Leben beeinträchtigen. Auch der Spaß kam in dieser Woche nicht zu kurz, was sich beispielsweise auch bei dieser Übung zeigte, wo sich Mani, unser Geburtsblinder ans Steuer des Wertebusses wagte und ich ihm in der Rolle der Angst im Nacken sitzen durfte. Bemerkenswert war, wie Veronika den Überblick bewahrte und die Übung anleitete.

Am Donnerstag hörten wir dann noch einen Vortrag von Francesco Campisi von der Post- und Kommunikationspolizei über Spuren im Internet, insbesondere über Missbrauch an Kindern und wie man sich davor schützen soll.
Zu guter letzt hörten wir am Freitag Vormittag durch Herrn Torggler, einem Theologen und Psychotherapeuten, einen Vortrag zum Thema Träume und setzten uns damit auseinander, welche Spuren Träume im Leben hinterlassen können. Die Theologin und Buchautorin Maria Riebl spricht in ihrem Buch „Biblische Träume heute erfahren“, welches Herr Torggler unter anderem zitierte, davon, dass Träume die gemeinsame Sprache der Menschheit seien. In den Träumen lebe jene Kraft, die am Tag fehlt. Oft bringen Träume genau dann, wenn der Mensch es am dringendsten braucht die lichtvolle Seite des Lebens zum Ausdruck. Herr Torggler erzählte uns von den Traumgeschichten in der Bibel. So zeigen uns etwa die Träume des heiligen Josef, dass Träume die Menschen auf ihrem Lebensweg auch weiter führen können, wenn Menschen darauf reagieren und entsprechend handeln. So nahm Josef Maria zur Frau, nachdem ihm der Engel im Traum die Botschaft brachte, dass er Maria zur Frau nehmen soll und später flieht Josef mit dem Kind und seiner Mutter nach Ägypten, nachdem er im Traum erfährt, dass Jesus in Gefahr ist.
Einen interessanten Gedanken finde ich jenen, dass in mir mehr lebt als die Wirklichkeit des Tages. Was immer ich träume, hat mit mir zu tun, mit dem, wie ich die Außenwelt erlebe und mit dem, was in meinem Inneren vor sich geht. Während ich Herrn Torggler Vortrag lauschte, stieg in mir die Erinnerung an so manchen Traum auf – insbesondere an Träume, die ich während des Komas hatte, die mir immer ein Rätsel bleiben werden. So träumte ich in den Wochen des Komas– vielleicht war es auch schon in der Aufwachphase aus dem Koma – immer wieder den folgenden Traum: ich sah meine Hand und an meinen Fingern klebten meine Brille und der silberne Ring, der mich mit meinem damaligen Partner Norbert verband, der den selben Ring als Zeichen unserer Liebe trug. Brille und Ring - Beides klebte an meinen Fingerspitzen. ich konnte Ring und Brille nicht greifen und in die Hand nehmen, aber sie fielen mir auch nicht aus der Hand. Sie blieben an meinen Fingerspitzen haften. Später fragte ich mich oft, was dieser Traum zu bedeuten hatte? Beides habe ich verloren: als ich aus dem Koma erwachte, war ich blind und acht Monate nach meiner schweren Erkrankung hat sich mein damaliger Partner Norbert von mir getrennt, weil er meinen Schicksalsschlag nicht ertragen konnte. Hat mich der immer wiederkehrende Traum vom Brille und Verlobungsring, die ich nicht festhalten konnte, schon etwas von der späteren Realität ahnen lassen? Ich weiß es nicht und es wird mir immer ein Rätsel bleiben.

Aber natürlich wurde auf der Bildungs- und Freizeitwoche nicht nur inhaltlich gearbeitet, sondern uns wurde abseits davon auch ein schönes Programm mit Ausflügen geboten. Am Montag Nachmittag ging es zum Schöpfungsweg“ in Unsere Liebe Frau im Walde“.
Hier war es für mich besonders schön zu erfahren, dass es in der Gruppe einen enormen Zusammenhalt gibt. Der Weg führte durch sehr gebirgige und steile Wege, die für mich als blinde Rollstuhlfahrerin eigentlich nicht bewältigbar sind, aber meine drei Engel (Raphaels) mit „H“, wie Niko sie bezeichnete, machten es möglich. Meine Freundin Herta, mein Partner Harald und Harry aus Südtirol schoben mich zeitweise zu dritt den Berg hinauf, sodass ich überall dabei sein konnte.

Am Mittwoch Nachmittag führte uns der Ausflug in ein Schreibmaschinenmuseum in Partschins, wo ich innerlich schmunzeln musste, als der geburtsblinde Mani das Steuer in die Hand nahm und die wissenschaftliche Mitarbeiterin des Museums, die uns durch die Ausstellung führte, über die Brailleschrift, den Brailler und Brailletafeln aufklärte. Die Dame im Museum war aber sehr bemüht und wir durften viele Ausstellungsstücke angreifen und abtasten.

Den Höhepunkt bildete für viele sicherlich der Ausflug in die Sennerei Algund am Freitag Nachmittag, wo wir in die Kunst der Käseerzeugung eingeführt wurden und selber Käse herstellen und verkosten durften.

Zu meinen persönlichen Highlights zählte auch der Ausflug in die Bozener Altstadt am Donnerstag Nachmittag, den viele zum Schwimmen im Blindenzentrum nutzten. Mein Partner Harald und ich bekamen dank Herta und Margot Worbis eine eindrucksvolle Führung in der Altstadt von Bozen mit Besichtigung des Domes. Auch ein leckeres Eis am Walter-Platz durfte nicht fehlen. Den Abend haben wir dann im Garten des Blindenzentrums bei einem gemütlichen Grillabend ausklingen lassen. Nicht verschweigen möchte ich, dass ein paar von uns – insbesondere die jüngere Generation - die Abende generell mit viel Spaß und in gemütlicher Runde bei einem oder mehreren Gläschen Wein oder Bier oder Saft im Innenhof der Lichtenburg bei angenehm warmen Temperaturen ausklingen ließen.

Manche unter uns haben es am nächsten Morgen sogar zum Morgenlob geschafft, welches Marliese wunderschön mit Symbolen wie Muschelsplittern und einem Stück Baumrinde und entsprechenden Geschichten gestaltete. Das Gedicht von Rainer M. Rilke „Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen“, welches Marliese vortrug, hat mich immer schon berührt, weil es uns an unsere Sterblichkeit erinnert. „Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen, die sich über die Erde ziehn. Ich werde den Letzten vielleicht nicht vollbringen, aber versuchen will ich ihn...“. Es ist so ein tröstlicher Text. Wir müssen nicht perfekt sein. Unser Leben bleibt immer Stückwerk und wenn wir sterben, so wird es immer etwas Unfertiges geben in unserem Leben. Aber das macht nichts, denn bei Gott sind wir willkommen, egal wie bruchstückhaft unser Leben war.

Zu dieser Bruchstückhaftigkeit möchte ich abschließend noch eine ganz persönliche Erzählung anschließen. Sie hat mit den beiden jüngsten Teilnehmerinnen an der Bildungswoche zu tun, mit der 7-jährigen Sofia und der 12-jährigen Daniela. Die beiden haben mit ihrer Fröhlichkeit und ihrem Lachen viel Traurigkeit aus den Herzen der verzagteren Teilnehmer gezaubert und einen unheimlich wertvollen Beitrag zum Gelingen der Woche geleistet. Da ich selber bisher keine Kinder habe und aufgrund des fortgeschrittenen Alters fraglich ist, ob mein Lebenstraum sich noch erfüllt, beschäftigt mich die Frage “Für wen hinterlasse ich Spuren in dieser Welt?“ natürlich auch noch einmal auf eine ganz andere intensive Art, die einige Vortragsvormittage füllen würde. Abgesehen davon ist es mir ein Bedürfnis zu erwähnen, dass ich von Danielas Querflötespiel, das sowohl Veronikas Abendlob als auch den Gottesdienst am Freitag musikalisch sehr bereicherte, zutiefst beeindruckt war. Meine Hände sind seit meinem Herzkreislaufstillstand im Jahr 1996 spastisch, sodass mir mein großes Talent zu musizieren genommen wurde und ich heute die Gitarre gar nicht mehr und die Querflöte nur sehr eingeschränkt spielen kann. So hat meine Erkrankung bei mir schmerzhafte Spuren hinterlassen, aber es ist eine Freude für mich, Daniela spielen zu hören.

Zu guter letzt möchte ich noch von Renates Kreativprogramm berichten, welches wir am Dienstag Nachmittag erleben durften. Hier haben wir uns intensiv mit unseren Füßen auseinandergesetzt und haben versucht, die Füße ganz wahrzunehmen und zu spüren mittels Klangschale, Massageball und Gehen des Barfußweges im Garten hinter dem Haus. Außerdem malten wir die Konturen unserer Füße, die dann auf ein Plakat geklebt wurden und unseren gemeinsamen Weg während der Woche nun auch bildlich dargestellt im Gemeinschaftsraum präsentierten. Besondere Freude hatten wir auch beim Erlernen des afrikanischen Tanzes „Mother I feel you under my feet, mother I feel your heart beat, eja eja eja ooooh,...“, wo wir an unsere Mutter Erde erinnert wurden, auf der wir leben und gehen und mit der wir sorgsam umgehen sollen, dass wir denen, die nach uns kommen, eine Erde hinterlassen, auf der man in Frieden und Sicherheit leben kann.

Ich danke allen Organisatoren dieser wunderschönen Woche für die Spuren, die diese Woche in mir hinterlassen hat, die mich nun durch meinen Alltag tragen!

Mag. Barbara Neugebauer, MA

 

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