Die Geschichte des Blindenapostolats

Wie der Gedanke in Südtirol
Wurzeln schlug

 
Wir blicken zurück auf das Jahr 1956. Die soziale und finanzielle Situation der blinden Menschen war damals sehr schwierig, weil sie kaum Hilfe erfahren konnten. Es gab damals nur eine unzureichende Rente, und somit verfügten Blinde kaum über eigenes Geld. Sie waren in vielen Fällen total isoliert, hatten kaum Kontakte zur Außenwelt und schon gar nicht zu anderen Selbstbetroffenen. Es gab keine Strukturen, wo Menschen mit Behinderung irgendwie unterstützt wurden. Für blinde Kinder und Schüler gab es keine Förderung oder Schulberatung, sie mussten ins Ausland z.B. nach Innsbruck, für Erwachsene gab es keine weiteren Möglichkeiten zum Erfahrungsaustausch und keine Hilfe zur Integration.

Seit 1949 gab es in Bozen ein Büro des Italienischen Blindenverbandes als Untersektion von Trient, wo man begann, die Blinden und Sehbehinderten des Landes zu erfassen und wo Betroffene auf sozialem Gebiet einige Hilfe erfahren konnten. Die Bürokratie war jedoch oft entmutigend.

In dieser Situation bildete sich um die mit unermüdlichem Einsatz tätige Blinde Mariedl Fischnaller Pircher eine Kerngruppe, die, durch die positiven Erfahrungen im Ausland ermutigt, auch in Südtirol eine Selbsthilfeorganisation aufzubauen begann. Mehr über Mariedl Fischnallers Leben erfahrt ihr hier.
Maria Fischnaller Pircher
Maria Fischnaller Pircher
Die ersten Schritte waren schwierig, aber mit viel Mühe und Ausdauer nutzte man vorerst die Gelegenheit der Blindenverbands-Versammlungen im Frühjahr und im Herbst, um Adressen von blinden und sehbehinderten Menschen einzuholen und mit ihnen in Kontakt zu treten.

Mariedl Fischnaller sagte einmal:
Es kommt auf die kleinen Schritte an, und dass man dabei nicht die Ausdauer und Treue verliert dem gegenüber, was man sich vorgenommen hat! Alleine wäre jemand freilich auf verlorenem Posten. So war es auch bei unserer Aufgabe.“

So gelang es, trotz aller Schwierigkeiten, einer kleinen Gruppe von blinden Menschen, sich am 12. November 1956 im Kapuzinersaal in Bozen zu versammeln. In Zusammenarbeit mit P. Leopold von Gumpenberg und einer Frauengruppe von Bozen wurde der Grundstein des Blindenapostolates in Südtirol unter der Leitung von Mariedl Fischnaller gelegt. Es setzte sich vor allem die religiöse und kulturelle Betreuung der deutschsprachigen Blinden und Sehbehinderten zum Ziel.

Durch selbst verfasste Rundbriefe konnten die Blinden und Sehbehinderten im ganzen Land benachrichtigt werden.
Wiederholt erfolgten Aufrufe, betroffene Personen zu melden, denn das Blindenapostolat war ständig bemüht, die persönlichen Anliegen und Bedürfnisse jedes Einzelnen wahrzunehmen und den Kontakt durch Hausbesuche zu pflegen.
Immer wieder wurden Späterblindete oder auch junge Blinde motiviert, in Innsbruck oder in Padua eine Umschulung oder Berufsausbildung zu machen. Natürlich gab es dann auch harte Auseinandersetzungen um die Bereitstellung von entsprechenden Arbeitsplätzen.
Um die blinden Menschen in Bildung und Gemeinschaft zu fördern, organisierte das Blindenapostolat alljährlich eine Ferien- und Bildungswoche, zuerst in Reinegg und dann in Nals. Außerdem wurden regelmäßig Wallfahrten, die Teilnahme an nationalen und internationalen Kongressen und die inzwischen regelmäßigen Monatstreffen in Bozen organisiert. Auch die Zusammenarbeit mit internationalen Vereinigungen (Österreichisches Blindenapostolat, Arbeitsgemeinschaft kath. Blindenvereinigungen im deutschen Sprachraum, internationaler Dachverband FIDACA) wurde stets mit Konsequenz gepflegt.

Die Gruppe der interessierten Teilnehmer wurde immer größer und bestärkte die Organisatoren, sich für die Lösung ihrer dringendsten Anliegen einzusetzen. Vor allem ein Wunsch wurde immer brennender: in Südtirol eine geeignete Struktur, ein Heim für alleinstehende Betroffene und ein Zentrum der Begegnung zu errichten.
Die Blindenseelsorger Kaplan Josef Moroder und später Kaplan August Prugger waren nicht nur als religiöser und geistlicher Beistand den Betroffenen eine äußerst wertvolle Stütze, sondern sie setzten sich auch tatkräftig für die Verwirklichung der so ersehnten Einrichtung für Blinde und Sehbehinderte ein.
Nach der Stiftung eines Grundstückes in Gries durch Prälat Georg von Hepperger sowie nach der Vorarbeit des blinden P. Georg Eccli, gelang, dank der Unterstützung vieler Selbstbetroffener, lokaler Wohltätigkeitsvereine und Freunde aus dem In- und Ausland, in den Jahren 1976 bis 1979 die Errichtung des Blindenzentrum St. Raphael.
Das Blindenzentrum ist ein Heim für ältere alleinstehende Blinde, bietet Wohnmöglichkeit für Berufstätige, verfügt über Räumlichkeiten für eine geschützte Werkstatt und über Räumlichkeiten für die verschiedensten Umschulungs- und Weiterbildungsangebote. Weiters werden von hier aus die mobilen, landesweiten Rehabilitationsdienste für Blinde und Sehbehinderte angeboten.
Diese rege Tätigkeit, die heute vom Blindenzentrum ausgeht und allen blinden und sehbehinderten Menschen des Landes zugutekommt, engte den Blick aber nicht auf die eigenen Bedürfnisse ein - im Gegenteil, das Blindenapostolat war immer schon bestrebt, sich auch für andere Menschen mit Behinderung oder in Not zu öffnen.
In diesem Geiste und unter Anregung von Pater Paul Haschek kam es 1981 zur Gründung der Kamillianischen Familie, einer Gruppe von Blinden, Körperbehinderten und ihren Freunden und Helfern, die gemeinsame Treffen, Glaubensseminare, Reisen und gezielte Hilfsaktionen für besonders Bedürftige organisiert.

Anlässlich einer beeindruckenden Reise in das Camilian Social Center Chiangrai in Thailand im Jahr 1984, erzählte Mariedl Fischnaller-Pircher auf einer Kassette anderen blinden Interessierten von ihren besonderen Erlebnissen. Aufgrund der überaus positiven Rückmeldungen entschloss sich das Blindenapostolat zur Herausgabe des ersten Kontakte-Hörbriefes (damals noch auf Kassette) für Blinde. Diese aufgesprochenen Informationen, Nachrichten und Berichte erreichen mittlerweile hunderte Hörer im In- und Ausland.

Auch wenn sich heute die Lebens- und Arbeitssituation blinder und sehbehinderter Menschen wesentlich geändert haben, so sind die Grundsätze, auf die das Wirken des Blindenapostolates aufbaut, auch heute noch von Bedeutung. Natürlich haben sich im Laufe der Zeit die Schwerpunkte etwas verlagert, die persönliche Kontaktpflege jedoch, das Zugehen auf jeden Einzelnen ist heute genauso wichtig wie damals.